Provenienzforschung bei den Freunden der Staatsgalerie

Mit dem Gemälde »Stillleben mit Gitarre« von Alexander Kanoldt, das 1935 vom damaligen Stuttgarter Galerieverein (heute: Freunde der Staatsgalerie Stuttgart) erworben worden war kam der Bestand des Vereins der Freunde in den Fokus der Provenienzforschung. 2005 ging dazu ein Restitutionsanspruch ein, 2008 wurde das Stillleben an die Erben des Breslauer Sammlers Ismar Littmann restituiert, 2013 konnte der Verein das Gemälde wieder für die Staatsgalerie zurückkaufen - die ausführliche Geschichte dieses Kunstwerkes erzählt Dr. Andrea Richter in dem untenstehenden Video.

Video zu Alexander Kanoldt »Stillleben mit Gitarre« (1926)

Wenige Jahre später, 2010, ging ein zweites Gesuch auf Restitution ein. Dieses Mal betraf es das Gemälde »Junge Frau mit Katzen« von Lovis Corinth, das nach ausführlicher Recherche 2011 an die Anspruchsteller restituiert wurde.

Als 2018 die Freunde ein weiteres Restitutionsgesuch erreichte, auf die Zeichnung »Piazza d’Erbe« von Adolph von Menzel, nahm der Verein dies zum Anlass, nun seine gesamte Sammlung proaktiv und systematisch auf Kunstwerke hin durchsuchen zulassen, bei denen der Verdacht auf eine Veräußerung unter dem Druck nationalsozialistischer Verfolgung besteht. Dazu muss die Kette der bisherigen Besitzer erforscht und möglichst lückenlos dokumentiert werden.

Provenienzforschung erforscht die Herkunft und die Geschichte eines Kunstwerks. Um an Informationen zu den Vorbesitzern zu kommen, werden zunächst alle im Museum vorhandenen schriftlichen Notizen zum Werk selbst gesichtet und gesammelt. Der erste Schritt dazu ist das sogenannte Inventarbuch und die Sammlungsdatenbank des Museums. Hier wurden und werden alle Kunstwerke erfasst, wenn sie in den Besitz des Museums gelangen, d.h. die wichtigsten Informationen sind dort notiert. Normalerweise ist dort auch vermerkt, wer der direkte oder die Vorbesitzer waren. Doch fehlen hin und wieder diese Angaben oder sind unvollständig. Dann finden sich auch in Korrespondenzen, Protokollen oder anderen Dokumenten, wie beispielsweise Rechnungen, Hinweise auf den oder die Vorbesitzer.

Diese Unterlagen zu den Ankäufen oder Schenkungen nach 1945 befinden sich im Archiv des Museums und des Vereins. Allerdings sind die Akten mit den Zugängen in die Sammlung der Staatsgalerie und des Vereins aus der Zeit vor 1945 am Ende des Zweiten Weltkrieges einem Feuer zum Opfer gefallen. Manchmal lassen sich am Kunstwerk selbst Hinweise auf Vorbesitzer finden, wie Sammlungs-Stempel, Aufkleber, Vermerke oder Widmungen. Wenn diese Unterlagen geprüft und das Kunstwerk untersucht wurde, folgt die Recherche in der Literatur, zum Beispiel in Werkverzeichnissen oder in Ausstellungskatalogen, in denen meist angeben wird, in wessen Besitz sich das abgebildete Werk zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches befand. Die Spurensuche führt dann weiter zu umfangreichen Internetrecherchen und zu Datenbankenabfragen, und zuletzt auch zu Archivbesuchen. Die so gesammelten Informationen werden zusammengeführt und die Geschichte der Vorbesitzer rekonstruiert. Jedoch gelingt es leider nicht immer die Kette der Vorbesitzer lückenlos zu belegen.

PODCAST »Kunst im Ohr«

Hören Sie nach: Im Podcast der Jungen Freunde Staatsgalerie »Kunst im Ohr« klärt Provenienzforscherin Dr. Andrea Richter ausführlich auf über ihre Arbeit. Den Podcast finden Sie auf den Streaming Plattformen Spotify und Apple Podcast.

Im Rahmen des ersten Projekts untersuchte die Provenienzforscherin Dr. Andrea Richter von April 2019 bis September 2021 insgesamt 188 Kunstwerke genauer, darunter 33 Gemälde, 147 Zeichnungen, eine Fotografie, ein Skizzenbuch und eine Skulptur. Rund ein Viertel der Werke stammen aus dem 20. Jahrhundert, von Vertretern der Klassischen Moderne wie beispielsweise Egon Schiele oder Julio González. Ein weiterer Teil umfasst Gemälde und Zeichnungen von bedeutenden Vertretern der Renaissance wie Hans Holbein d. Ä. oder Albrecht Dürer. Den größten Anteil bilden jedoch Zeichnungen von Künstlern des 19. Jahrhunderts wie Carl Gustav Carus oder Joseph Anton Koch.

Lesen Sie nach: Der Abschlussbericht zum 1. Projekt

Lesen Sie hier die vier Fallbeispiele nach:

»Auferstehung Christi« von Bartholomäus Zeitblom,
»Der Kuss« von Julio González,
»Die Marter der heiligen Katharina« von Albrecht Dürer,
»Der Prophet – Doppelselbstbildnis« von Egon Schiele

Im zweiten Projekt mit dem Titel »Systematische Provenienzprüfung der Druckgraphik im Bestand der Freunde der Staatsgalerie Stuttgart e. V.« stand die Druckgraphik mit insgesamt 282 Einzelwerken im Fokus der Prüfung. Von September 2021 bis Dezember 2022 wurden unter anderem einzelne Arbeiten von Martin Schongauer, Rembrandt van Rijn, Max Beckmann oder Wassily Kandinsky untersucht.

Begleitend recherchierte Dr. Andrea Richter die Geschichte des Vereins seit seiner Gründung im Jahr 1906. Dazu wurden alle vorhandenen Archivalien ermittelt, eingesehen und ausgewertet. Die gesammelten Informationen wurden zu einem ausführlichen Dokument zur Geschichte des Vereins zusammengefasst. Einen Teil dieser Recherchen stellte Dr. Andrea Richter vorab in einem gemeinsamen Vortrag mit der Provenienzforscherin der Staatsgalerie, Johanna Poltermann, unter dem Titel »Verlorene Geschichte? Die Staatsgalerie Stuttgart und der Galerieverein im Nationalsozialismus«, im Kunstmuseum Stuttgart vor. Den Vortrag hat sie in einem Aufsatz zusammengeführt, den Sie hier nachlesen können. Die vollständige Vereinsgeschichte wird in Kürze veröffentlicht.

Abschlussbericht Projekt Druckgraphik und Aufsatz zur Geschichte des Vereins in der Zeit des Nationalsozialismus

Während des ersten Projekts »Systematische Provenienzrecherche zur Sammlung der Freunde der Staatsgalerie Stuttgart e. V.« wurde ein Vorbesitzer der aquarellierten Zeichnung von Hans Thoma, »Erinnerung an Orte« (1887) als der jüdische Kunstsammler Julius Freund identifiziert. Am 10. August 2022 ging dazu beim Verein ein Antrag auf »die Möglichkeit einer gütlichen Regelung« ein.

Die 1942 in Luzern versteigerte Sammlung Julius Freund ist seit langem Gegenstand von Provenienzrecherchen und Restitutionsgesuchen. Bei dem Verkauf in der Schweiz handelt es sich um sogenanntes »Fluchtgut«. Darunter versteht man Kunstwerke, die während des Nationalsozialismus nicht unmittelbar in Deutschland enteignet, geraubt oder erpresst wurden, sondern die vom NS-Regime Verfolgte auf ihrer Flucht ins vermeintlich sichere Ausland verkaufen mussten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Zur Sammlung von Julius Freund war bereits intensive Forschungsarbeit geleistet und publiziert worden. Die Untersuchung von Frau Dr. Richter knüpfte an diese Forschungen an. Sie legte dabei den Fokus darauf, genauer heraus zu finden, unter welchen Umständen die Sammlung Freund in die Schweiz verbracht und letztlich in Luzern 1942 verkauft wurde.

Mit Hilfe einer kurzfristigen Förderung des Projekts »Recherchen zum Auskunfts- und Rückgabeersuchen eines Werkes aus der Sammlung von Julius Freund« durch das DZK konnte im Dezember 2023 der Provenienzbericht fertiggestellt und die umfängliche Erforschung des gesamten Kunstbesitz auf NS-Raubgut hin abgeschlossen werden.

Hier finden Sie das Video zum Abschluss der drei Projekte.

Dr. Andrea Richter hat Ihre Forschungsergebnisse in einem kurzen Video zusammengefasst.

Hier finden Sie das Video zum Abschluss der drei Projekte.